Um einen ersten Eindruck von den „Neuen Sagen aus dem Huy“ zu erhalten, finden Sie hier Auszüge aus drei Geschichten:
Eine Legende läuft durch den Huy
Es waren die ersten Tage im Mai und der Burgherr von Schlanstedt hatte gerade sein Frühstück beendet. Ein weiterer sorgenvoller Tag lag vor ihm, denn eine Seuche hatte alle seine Pferde erkranken lassen. Zudem wartete er schon seit Wochen gespannt auf eine Antwort des Burgfräuleins der Westerburg, das auf seinen Heiratsantrag noch immer nicht reagiert hatte.
Seufzend erhob sich der Burgherr von seinem Stuhl und machte sich auf den Weg zu den Pferdeställen. Dabei gab er sich seinen Tagträumen hin, in denen die holde Westerburger Maid die Hauptrolle spielte. Der Burgherr überquerte gerade den Hof, als ein Reiter in wildem Galopp durch das Tor jagte.
„Ich bin ein Bote des Burgfräuleins der Westerburg“, sprach der Reiter. „Sie ist gewillt euch zu heiraten, sofern ihr Eure Meinung nicht geändert habt.“
Als der Burgherr dies hörte, setzte sein Herz vor Freude einen Schlag aus.
„Doch es gibt einen weiteren Bewerber“, fuhr der Reiter fort. „Das Burgfräulein erwartet daher eure endgültige Entscheidung in spätestens zwei Tagen.“
Der Burgherr wollte freudig seine Zustimmung kundtun, doch bevor er antworten konnte, war der Reiter bereits in aller Eile durch das Tor gen Westerburg geritten.
Der Burgherr war überglücklich und wollte sofort einen Boten mit seiner Zusage zur holden Maid schicken. Da erinnerte er sich der Seuche, die alle Pferde befallen hatte. Kein Tier würde stark genug sein, so einen weiten Ritt auszuhalten. Der Burgherr seufzte traurig. Die Erfüllung seines Herzenswunsches war eben noch zum Greifen nahe, doch das Schicksal schien sich gegen ihn gewendet zu haben. Er überlegte verzweifelt, ob es noch andere Möglichkeiten geben würde, zur Westerburg zu gelangen. Da fiel ihm ein, dass seine Köchin in einem Gespräch mit dem Kutscher damit geprahlt hatte, dass ihr Neffe ein gar tüchtiger Läufer sei. Er könne auch die weitesten Strecken in großer Geschwindigkeit zurücklegen und würde kaum ermüden. Sofort schickte der Burgherr nach dem Jungen und wartete angespannt auf dessen Kommen. Als die Köchin ihren Neffen endlich zu ihm brachte, fragte der Burgherr: „Ich habe gehört, du seist ein hervorragender Läufer. Ist das wahr?“
Der Junge nickte schüchtern und der Burgherr fuhr fort: „Ich habe einen Auftrag für dich. Du musst für mich eine Botschaft zur Westerburg bringen. Ich möchte um jeden Preis das Burgfräulein ehelichen. Allerdings musst du einen Umweg über die Huysburg machen. Denn wie es üblich ist, brauche ich für die Hochzeit die Zustimmung des Abtes. Meinst du, du schaffst diese Strecke in zwei Tagen?“
Erneut nickte der Junge zögerlich.
„Sehr gut“, der Burgherr lächelte zufrieden: „Wenn du es außerdem schaffst, in den umliegenden Dörfern des Huys die freudige Botschaft meiner Vermählung mit der holden Maid der Westerburg zu verkünden, sollst du eine reiche Belohnung erhalten.“
Als der Neffe der Köchin dies hörte, glänzten seine Augen. Er blickte den Burgherren fragend an und als dieser ihn mit einer Handbewegung entließ, rannte der Junge los.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er in schnellem Lauf das Dorf Schlanstedt und wandte sich Richtung Eilenstedt. In kurzer Zeit hatte er den Ort erreicht und rief jedem, dem er begegnete, die Nachricht der anstehenden Hochzeit zu. Ohne anzuhalten durchquerte er bald darauf Eilsdorf, Anderbeck und Dingelstedt. Überall verbreitete er die ihm aufgetragene Botschaft. Dann fiel ihm ein, dass er einen Abstecher zur Huysburg machen musste und bog auf den Pfad ein, der ihn in die Tiefen des Waldes führte.
Was der Junge wohl im Wald erlebt? Und ob er rechtzeitig die Westerburg erreicht? Die Antworten auf diese Fragen finden Sie im Buch …
Teufel nochmal … in Anderbeck
Dem Teufel ging es schlecht. Schon seit längerer Zeit lebten die Menschen gottesfürchtig und nicht eine einzige Seele hatte den Weg in seine unheilvolle Behausung antreten müssen. Der Teufel beschloss, dass sich das ändern müsse und suchte nach Menschen, deren Seelen er mit verlockenden Versprechungen in seinen Besitz bringen konnte.
Nachdem der Teufel viele Wochen vergebens durch die Lande gestreift war, kam er schließlich nach Anderbeck. Hier waren die Einwohner gerade auf dem Marktplatz versammelt und diskutierten über den Bau einer Windmühle. Bisher hatten die Dorfbewohner ihr Korn immer in die umliegenden Orte zum Mahlen bringen und dadurch auf viele freie Tage verzichten müssen.
Die praktisch veranlagten Anderbecker einigten sich schnell auf einen Standort für eine eigene Mühle und auf die Art, wie sie konstruiert werden sollte: Ein älterer Bauer, der seine vielen Felder nicht mehr bestellen konnte, verpachtete dem Dorf ein Ackerstück auf einem Hügel und da im Huy der Wind meistens von Westen weht, sollten die Mühlenflügel in diese Himmelsrichtung zeigen. Auch für die Beschaffung des Baumaterials fanden die Dorfbewohner eine Lösung, denn ein Großbauer mit Waldbesitz versprach, das notwendige Holz der Gemeinheit zur Verfügung zu stellen.
Die pfiffigen Anderbecker beschlossen zudem, die Mühle selbst zu bauen, um so die Kosten für die Handwerker zu sparen. Als damit alle wichtigen Angelegenheiten für den Bau der Mühle geregelt schienen, wollten die Dorfbewohner gerade nach Hause gehen, als jemand rief: „Die Mühlsteine, wir haben nicht an die Mühlsteine gedacht! Wie bekommen wir die nach Anderbeck?“
Die Menschen diskutierten ratlos über dieses wortwörtlich schwere Problem, denn der am nächsten liegende Steinbruch befand sich zwischen Badersleben und Huy-Neinstedt und niemand besaß ein Fuhrwerk, das stabil genug war, um die riesigen Steine nach Anderbeck zu bringen. Als auch nach einer Stunde noch niemand eine Lösung präsentieren konnte, beschlossen die Anderbecker schließlich schweren Herzens, auf den Bau einer Mühle zu verzichten.
Der Teufel hatte das Geschehen bislang still in einer Ecke beobachtet und sich dabei auch etwas gelangweilt. Zu fröhlich und rechtschaffen schienen die Anderbecker zu sein, als dass er sie mit seinen Verlockungen hätte verführen können. Als jetzt die Menschen jedoch mit hängenden Köpfen begannen, den Marktplatz zu verlassen, sah er der Teufel seine Möglichkeit gekommen. Er stellte sich auf die Mitte des Platzes und befahl den Dorfbewohnern zu bleiben und seinen Worten zu lauschen. Er pries mit lauter Stimme seine vielfältigen Fähigkeiten und die verlockenden Möglichkeiten, die sich daraus für die Menschen im Ort ergäben. Die Anderbecker allerdings schienen ihn gar nicht zu beachten. Zu oft schon hatten sie beim alljährlichen Karneval, für den der Ort im ganzen Huy berühmt und berüchtigt ist, einen Teufel gesehen, der große Redenschwang. Normalerweise waren die Dorfbewohner ganz vernarrt in solche Auftritte, doch heute waren sie aufgrund des Scheiterns des Windmühlenbaus zu trübselig, um einem Menschen in Teufelskostüm Beachtung zu schenken.
Währenddessen schrie der Teufel, der bemerkt hatte, dass ihn niemand beachtete, immer lauter und wurde schon ganz heiser. Da sagte ein Kind, das sich den Schreihals ganz genau angeguckt hatte: „Ich glaube, das ist der richtige Teufel. Der sieht so echt aus“, erklärte es seinen Eltern. Alle, die das gehört hatten, sahen sich den Teufel nun genauer an und langsam versammelten sich alle Dorfbewohner wieder auf dem Marktplatz.
Als der Teufel sah, dass ihm die Anderbecker endlich zuhörten, wollte er den Menschen erklären, wie er ihnen beim Mühlbau helfen könne, musste aber erst einmal kräftig husten. Als er sich dabei auch noch schrecklich verschluckte, sahen sich die Anderbecker fragend und belustigt an. Sie hatten sich den Teufel irgendwie anders vorgestellt. Der Teufel bemerkte dies und lies ein höllisches Gebrüll los, sodass alle Dorfbewohner vor Schreck erzitterten. Der Teufel, jetzt sichtlich zufrieden, legte nun den Anderbeckern dar, wie er den Bau der Mühle möglich machen würde. Er verpflichtete sich, die schweren Mühlsteine bis zum Bauplatz zu schleppen, wenn ihm für jeden zehnten im nächsten Jahr gemahlenen Sack Mehl eine Seele versprochen würde. Die Anderbecker jubelten und waren über die plötzliche Lösung ihres Problems so voller Freude, dass sie die verhängnisvolle Bezahlung gar nicht richtig beachteten.
Als die Anderbecker sich am nächsten Morgen am geplanten Bauplatz der Mühle versammelten, lagen dort tatsächlich bereits zwei große, schwere Mühlsteine. Daneben stand der Teufel und begrüßte die Dorfbewohner mit einem verschlagenen Lächeln: „Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt. Ihr könnt nun eure Mühle bauen und für jeden zehnten Sack Mehl erhalte ich eine Seele!“
Da wurde den Anderbeckern das erste Mal die verhängnisvolle Abmachung bewusst und sie flehten den Teufel an, doch lieber Mehl oder gar Geld als Bezahlung anzunehmen und dafür auf ihre Seelen zu verzichten. Doch der Teufel lachte nur: „Eine Seele für jeden zehnten Sack Mehl!“, bekräftigte er die am Vorabend geschlossene Vereinbarung.
Der Teufel warnte die Anderbecker: „Und versucht nicht, mich zu überlisten! Ihr werdet hier euer Korn mahlen, in dieser Mühle mit nach Westen gerichteten Flügeln und auch die Kraft des Himmels kann unsere Vereinbarung nicht rückgängig machen! In genau einem Jahr komme ich wieder.“
So sprach der Teufel und verschwand.
Die Dorfbewohner waren verzweifelt. Sie wollten unbedingt eine eigene Mühle, doch den Preis, den sie leichtsinnig mit dem Teufel vereinbart hatten, erschien ihnen jetzt deutlich zu hoch. Sie überlegten, wie sie die Übereinkunft für ungültig erklären konnten, doch letztlich war allen Anderbeckern bewusst, dass dies nicht mehr möglich war, sobald der Teufel seinen Teil der Abmachung erfüllt hatte.
„Wir können doch die Windmühle mit den Flügeln nach Osten bauen“, schlug jemand vor.
„Der Teufel bekommt doch nur die Seelen für eine nach Westen ausgerichtete Mühle.“
Dieser Vorschlag war verlockend und die Anderbecker schienen gerettet. Doch da trat ein alter Mann aus der Menschenmenge hervor. „Ich verstehe eure Hoffnung“, sprach er mit ruhiger Stimme, „aber ich muss euch enttäuschen. Wir dürfen diese List nicht anwenden. Der Teufel hat unsere Baupläne gehört und deshalb die Steine für eine Mühle geliefert, deren Flügel nach Westen zeigen. Wir müssen uns an diese Vereinbarung wortgetreu halten.“
Als die Dorfbewohner diese Worte hörten, schwand ihre Hoffnung dahin und in ihren Augen spiegelte sich ihre Verzweiflung wider. Da fuhr der alte Mann mit seiner Ansprache fort: „Den Vorschlag, dass wir eine Mühle mit den Flügeln nach Osten bauen sollen, können wir leider nicht umsetzen, doch er hat mich auf eine Idee gebracht.“
Welche Idee der alte Mann hatte und ob die Anderbecker damit den Teufel überlisten konnten, erfahren Sie im Buch …
Der Geist der zerfallenen Warte
Am westlichen Ende des Huys, in der Nähe des Ortes Zilly, wurde auf einem Hügel vor vielen Jahrhunderten ein steinerner Wachturm errichtet, den man auch Warte nennt. Da es von dieser Warte aus möglich war, das gesamte nördliche Harzvorland und große Teile des Landes am Huy zu überblicken, stand der Turm im Mittelpunkt zahlreicher Konflikte. So wurde er etwa während eines Streits zwischen den Halberstädter Bürgern und ihrem Bischof ebenso zum Schauplatz bewaffneter Auseinandersetzungen, wie im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges. Im Laufe der Jahre wurde die Warte schließlich mehrmals zerstört und wiederaufgebaut. Nach einer wechselvollen Geschichte war vom einstmals stolzen Wachturm nur noch eine Ruine vorhanden.
Um diese Ruine der Warte ranken sich seitdem zahlreiche Legenden. Die bekannteste berichtet von einem räuberischen Ritter, der sich gegen ein bischöfliches Heer im Turm verschanzt hatte. Nach langem Kampf gelang es den Soldaten schließlich, den Ritter zu überwinden. Der Sage nach schlugen sie ihm den Kopf ab und warfen seine Leiche in die Turmruine.
Die vom räuberischen Ritter drangsalierten Bürger des Huys atmeten zunächst ob des Todes ihres Peinigers auf. Doch schon bald kursierten Gerüchte, dass das Gebiet um die Warte immer noch nicht sicher sei. Immer wieder verschwanden auf unerklärliche Weise Jäger und Förster, die in der Gegend ihren Dienst verrichteten. Und so manches Mädchen, das in der Nähe der Warte Beeren und Früchte sammelte, ward nie wieder gesehen. Diese Vorfälle schienen sich besonders in Vollmondnächten zu häufen und die Leute sprachen davon, dass der Geist des räuberischen Ritters seinem Grab entstiegen sei, um sich für seinen Tod zu rächen. Daher traute sich schon bald niemand mehr in die Gegend des Turmes.
Nachdem viele Jahrhunderte die Warte ihrem einsamen Schicksal überlassen wurde, zog schließlich ein fremder Handwerksmann durch die Gegend des Huys und entdeckte dabei die zerfallene Turmruine. Überwältigt von der Aussicht, die sich ihm von diesem Platze bot, entbrannte in ihm das Verlangen, an diesem Orte tätig zu werden. Er sprach mit den Einwohnern der umliegenden Dörfer und holte sich die Erlaubnis ein, die zerfallene Warte wieder aufzubauen. Die Menschen warnten den Fremden vor dem Geist des räuberischen Ritters, doch der Mann stand bereits so sehr im Bann des Turmes, dass er den gut gemeinten Ratschlägen keine Beachtung schenkte.
So entwarf der tüchtige Gesell Pläne für den Wiederaufbau der Warte und begann bald mit den ersten Tätigkeiten. Die Arbeiten schritten zunächst zügig voran und der Fremde fühlte sich bestätigt, den Legenden um den räuberischen Ritter keine Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Doch schon bald geriet das Unterfangen ins Stocken. Das notwendige Baumaterial traf nicht wie vereinbart an der Warte ein und verschiedenes, dringend notwendiges Werkzeug war nicht aufzutreiben. Einige Leute munkelten bereits, dass der Ritter auf diese Weise versuchte, die Arbeiten zu verhindern. Doch da bisher keine schlimmen Unfälle geschehen oder Personen verschwunden waren, beschloss der Handwerksmann, mit seinem Vorhaben fortzufahren. Er hatte bereits zu viel Mittel und Kraft in den Wiederaufbau des Turmes gesteckt, als dass er aufgrund von einigen Schwierigkeiten aufgegeben hätte.
Ein halbes Jahr war vergangen, als der Handwerksmann trotz aller Herausforderung den Wiederaufbau der Warte abgeschlossen hatte. Die verschwundenen Baumaterialien waren letztlich doch noch am Turm eingetroffen und das benötigte Werkzeug wurde ebenfalls herbeigeschafft. Seitdem hatte es keine besonderen Vorfälle mehr gegeben. Schließlich war der Tag gekommen, an dem der Handwerksmann zum allerersten Mal in der wiederaufgebauten Warte übernachten wollte. Die Huy-Bewohner warnten den fremden Turmbesitzer, alleine eine Nacht im Turm zu verbringen. Zu angsteinflößend waren die alten Geschichten, als dass sie ein solches Vorhaben hätten gutheißen können. Zudem würde in genau dieser Nacht der Vollmond am Himmel stehen und es war bekannt, dass der Geist des räuberischen Ritters dann am schlimmsten wütete. Doch der Handwerksmann ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er schloss am Abend die feste Eisentür hinter sich zu, die er in die dicke Mauer der Warte eingebaut hatte, und legte sich schlafen, als die Dunkelheit hereinbrach.
Was dem Handwerksmann in jener Nacht geschah, das können Sie im Buch nachlesen …
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